Women’s Struggle in Biafra: The Nigerian Civil War As A Direct Consequence of Colonialism

by Carolin Felden. Main Article in German language.

Between 1967 and 1970, Nigeria was engulfed in a devastating war between the Nigerian government and the secessionist Republic of Biafra. The war concluded nearly three years later with Nigeria’s victory, yet it left in its wake a staggering toll of over two million lives lost. Notably, the role of women in the Biafran struggle was multifaceted; they emerged as warriors, scholars, farmers, and providers, playing a crucial role in sustaining the republic during its tumultuous existence. While commonly referred to as the “Nigerian Civil War,” this article contends that such terminology inadequately captures the war’s broader context. The legacy of British colonialism in Nigeria (1914-1961) is posited as a significant factor contributing to the war’s outbreak (cf. Richardson 2019: 79). Consequently, this article seeks to elucidate that the Biafran quest for independence was not merely a confrontation with the Nigerian government but rather a profound struggle against neocolonial foreign domination. Special emphasis will be placed on the indispensable contributions of Biafran women to this cause.

 

Frauen im Kampf für Biafra – Der nigerianische Bürgerkrieg als Folge von britischem Kolonialismus

 

1. Einleitung

Zwischen 1967 und 1970 fand in Nigeria ein blutiger Krieg zwischen der nigerianischen Bundesregierung und der abtrünnigen Republik Biafra statt. Als die Kämpfe nach fast drei Jahren schließlich durch den Sieg Nigerias beendet wurden, musste eine traurige Summe von mehr als zwei Millionen Todesopfern festgehalten werden. Beeindruckend bleibt dabei dennoch, die Sichtbarkeit und Aktivität von Frauen im Kampf für Biafra: Sowohl als Kriegerinnen und Wissenschaftlerinnen als auch als Bäuerinnen und Versorgerinnen ermöglichten sie der Republik eine Zeit lang das Überleben. Häufig wird der Biafra-Krieg auch als „Nigerianischer Bürgerkrieg“ bezeichnet. In diesem Artikel wird die These vertreten, dass dieser Begriff den Kontext des Krieges vernachlässigt. So hat der britische Kolonialismus in Nigeria (1914-1961) direkt zum Ausbruch des Krieges beigetragen (vgl. Richardson 2019: 79). In dem vorliegenden Artikel soll deshalb dargelegt werden, dass der biafranische Kampf für Unabhängigkeit nicht nur der nigerianischen Regierung galt, sondern vor allem ein Krieg gegen neokoloniale Fremdherrschaft war. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die unentbehrliche Mithilfe biafranischer Frauen gelegt.

Diese Hausarbeit ist unterteilt in zwei maßgebliche Abschnitte: Der erste Teil beleuchtet, wie der britische Kolonialismus Nigeria beeinflusste und letztlich den Weg zum Biafra-Krieg ebnete. Dafür soll zunächst ein grober Überblick über die koloniale Geschichte Nigerias gegeben werden, wobei insbesondere auf die Strategie der „Indirekten Herrschaft“ durch die Briten eingegangen wird. Im Anschluss soll darauf eingegangen werden, wie die britische Handhabung seiner Kolonie regionale Unterschiede innerhalb Nigerias verstärkte und dadurch ethnische Spannungen verschärft hat, während gleichzeitig die politischen Einflussmöglichkeiten von Frauen verschlechtert wurden. Im zweiten Abschnitt der Arbeit werden zunächst die Ereignisse unmittelbaren im Vorfeld des Krieges betrachtet, bevor eine grobe Zusammenfassung des Biafra-Krieges vorgenommen wird. Darauf aufbauend, wird auf die vielfältigen Rollen von Frauen im Kampf für Biafra eingegangen, bevor die Hausarbeit mit einer Zusammenführung abgerundet wird.

2. Die Koloniale Vorgeschichte des Biafra-Krieges

2.1 Indirekte Herrschaft in Nigeria

Bereits ab dem Ende des 19. Jahrhunderts hatten britische Akteure zunehmenden Einfluss auf Teile des heutigen Nigerias genommen (vgl. Geiss 1967). Zwischen 1914 und 1960 stand schließlich das gesamte Territorium Nigerias unter kolonialer Kontrolle durch Großbritannien. Um das große Land möglichst effizient kontrollieren zu können, entschieden sich die Briten den Ansatz der sogenannten „Indirekten Herrschaft“ (Indirect Rule) anzuwenden. Der Begriff bezeichnet ein Regierungssystem, welches im Verlauf der Geschichte von verschiedenen imperialen Mächten umgesetzt wurde, um ihre Kolonien zu kontrollieren (vgl. Trask 2004). Hierbei macht sich die jeweilige Imperialmacht bereits bestehende Machtstrukturen innerhalb der kolonisierten Gebiete zunutze, indem sie traditionelle lokale Herrscher unterstützt. Letztere profitieren demnach vom Schutz durch die Kolonialmacht – sind dafür aber auch an deren Weisungen gebunden. Zu den Aufgaben dieser einheimischen Herrscher zählte in Nigeria die Umsetzung kolonialer Vorschriften, wie die Erhebung von Steuern, sowie die Verwaltung des „Gewohnheitsrechts“ – also die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten nach lokaler Tradition (vgl. Baxter 2019: 17). Die Kontrolle über auswärtige Angelegenheiten des kolonisierten Gebietes, sowie über Steuern, Kommunikation und andere Sachverhalte ging hingegen an die Kolonialmacht über. Augenscheinlich blieb die alltägliche Regierung und Verwaltung der kolonisierten Gebiete demnach in den Händen traditioneller lokaler Führer. Hinter den Kulissen arbeiteten allerdings englische Beamte, die gegebenenfalls ein Vetorecht ausüben konnten (vgl. Trask 2004). Durch dieses Vorgehen versprach die Kolonialmacht sich, eine höhere Akzeptanz in der indigenen Bevölkerung zu erlangen und gleichzeitig Personalkosten einzusparen (vgl. Roberts 1999: 529).

Es ist wichtig zu erwähnen, dass es sich bei Nigeria um einen Staat mit über 374 verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und Traditionen handelt (Okpanachi & Garba 2010: 3). Seine Landesgrenzen wurden von der britischen Kolonialverwaltung „künstlich“ geschaffen, wobei die organischen vorkolonialen Geografien und kulturellen Identitäten der indigenen Bevölkerung nicht beachtet wurden (vgl. Baxter 2019: 14). Laut Okpanachi und Garba stellt Nigerias bemerkenswerte Vielfalt eine der größten Herausforderungen für die Stabilität des heute unabhängigen Staates dar (Okpanachi & Garba 2010: 3). Während der Kolonialzeit erschwerte dieselbe Diversität auch den Briten die Errichtung und Aufrechterhaltung der Herrschaft über das Land (vgl. Baxter 2019: 14). Mit der „Richards Constitution“ spalteten die Briten das nigerianische Territorium 1947 in drei Regionen auf. Durch diese Teilung sollten drei relativ einheitliche Regionen geschaffen, und somit ethnische Spannungen zu reduziert werden (vgl. Richardson 2019: 34; 44). So entstanden die nördliche, südöstliche und westliche Region, welche von jeweils einer großen ethnischen Gruppe dominiert wurden (Der Südosten Nigerias wurde zum damaligen Zeitpunkt häufig auch schlicht als „östliche“ Region bezeichnet (vgl. Richardson 2019: 36). Die Hausa-Fulani waren hierbei im Norden vorherrschend, während die Igbo im Südosten und die Yoruba im Westen bzw. Südwesten dominierten (vgl. Suberu 2019: 5).

In Nordnigeria nutzten die Kolonialisten, ganz im Sinne der indirekten Herrschaft, bereits vorhandene politische Strukturen aus. Der Norden des Landes wurde zu Beginn des britischen Kolonialismus vom 1804 gegründeten Sokoto Kalifat dominiert. Die stark hierarchisch organisierte Gesellschaft des Kalifats bot den Briten ideale Bedingungen zur Umsetzung von indirekter Herrschaft: Eine Klasse von Emiren bildete die Machtspitze von Sokoto; indem die Briten die Emire stützten und beeinflussten, konnten sie indirekt auch die restliche Bevölkerung Nordnigerias kontrollieren (vgl. Baxter 2019 17 f.).

Im südlichen Teil des Landes fiel es der Kolonialmacht hingegen wesentlich schwerer, das System der indirekten Herrschaft einzuführen. Die traditionellen Regierungssysteme waren hier weitaus vielfältiger und weniger hierarchisch, als im muslimischen Norden (vgl. ebd.: 18). Wie eingangs erwähnt, wurde der Südosten Nigerias vom Volk der Igbo dominiert. Dieses hegte eine starke Abneigung gegenüber steilen Machtgefällen und lehnte das Prinzip eines einzelnen Herrschers ab (vgl. van Allen 1972: 172). Stattdessen diskutierten die Igbo politische Fragen gemeinschaftlich im Rahmen von Dorfversammlungen und fällten Entscheidungen direktdemokratisch (vgl. van Allen 1975: 16). Zwar gab es bei den Igbo durchaus patriarchale Strukturen, doch auch Frauen hatten im vorkolonialen Igboland politischen Einfluss. So konnten in traditionellen Igbo-Gesellschaften sowohl Männer als auch Frauen zu Entscheidungsführern werden, wenn sie durch Redegewandtheit und Überzeugungskraft beeindruckten (vgl. van Allen 1972: 167).

Da die Briten in Südnigeria also, anders als im Norden, kaum vorhandene Hierarchien ausnutzen konnten entschieden sie, selbst geeignete Führungspositionen zu erschaffen (vgl. Baxter 2019: 18). Hierzu wählten britische Beamte aus jeder Igbo-Gemeinde einen Vertreter, dem sie das Amt des Häuptlings, bzw. des „Warrant Chiefs“ verliehen (vgl. van Allen 1972: 171 f.). Diese Warrant Chiefs bildeten daraufhin das einzige Bindeglied zwischen der Kolonialmacht und der Igbo Bevölkerung (vgl. Richardson 2019: 20). Wie die Emire im Norden, profitierten auch sie vom Schutz durch die Briten und konnten gegen lokale Traditionen verstoßen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen (vgl. van Allen 1972: 172). Aufgabe der Chiefs war es zu kontrollieren, dass die Anordnungen der britischen Bezirksbeamten in ihren Dörfern ausgeführt wurden; bei Missachtung der kolonialen Regeln, hatten sie die Autorität, Geldstrafen gegen Einwohner zu verhängen. Ähnlich, wie bei der Instrumentalisierung der Emire im Norden, dienten die Warrant Chiefs letztlich der Illusion, dass das System nicht von Europäern, sondern durch lokale Führung beherrscht wurde. Die Warrant Chiefs boten der indigenen Bevölkerung eine direkte Anlaufstelle, um sich über politische Missstände zu beklagen, während die Kolonialisten unzugänglich blieben. Somit waren die Häuptlinge ideale Sündenböcke, die eine Art Schutzbarriere zwischen den Briten und den Kolonisierten bildeten (vgl. Richardson 2019: 17).

Bei den Igbo wurden Frauen durch die britische Kolonialherrschaft besonders stark beeinträchtigt, denn die Briten importierten ein europäisch-viktorianisches Weltbild, demzufolge Politik eine reine Männerdomäne darstellte (vgl. van Allen 1972: 165 f.). Dementsprechend erwartbar, wurde das Amt des Warrant Chiefs – bis auf eine Ausnahme – ausschließlich an Männer vergeben (Epprecht 2013). Die patriarchalischen Auswirkungen des britischen Kolonialismus sind auch im heutigen Nigeria noch spürbar. Zwar ist die Gleichberechtigung der Geschlechter in der nigerianischen Verfassung verankert, „doch im Alltag sind Frauen und Mädchen bei Bildungs- und Berufschancen, Besitzrechten und der politischen Teilhabe stark benachteiligt“ (BMZ o. J.). Auch in der nigerianischen Politik sind Frauen heute stark unterrepräsentiert (vgl. Richardson 2019: 36). In traditionellen Igbo- Gesellschaften konnten Frauen noch, bei den Dorfversammlungen sowie mithilfe von Frauenräten, politischen Einfluss ausüben (vgl. van Allen 1972: 171). Im Zuge der britischen Umstrukturierung zur indirekten Herrschaft, gingen diese Institutionen jedoch verloren.

2.2 Verschärfung regionaler Spannungen durch Indirekte Herrschaft

Wie erwähnt, lebt in Nigeria – aufgrund der kolonialen Aufteilung – eine Vielzahl an Kulturen mit unterschiedlichen politischen Strukturen zusammen. Ein erfolgreiches Zusammenarbeiten der drei größten nigerianischen Kulturen – der Hausa-Fulani, Yoruba und Igbo – wurde während der britischen Kolonisierung dadurch erschwert, dass die drei Gruppen sehr unterschiedliche Lebensstile verfolgten. Laut Richardson war das britische Ziel, in Nigeria ein zentralistisches Politikmodell nach westlichem Vorbild umzusetzen, daher von Beginn an zum Scheitern verurteilt. (vgl. Richardson 2019: 51). Auch unternahm die Kolonialverwaltung nie einen ernsthaften Versuch, die ethnischen Dilemmata zu lösen, die sich aus der Zusammenführung vieler verschiedener Kulturen innerhalb eines einzigen Nationalstaates ergeben könnten (vgl. ebd.). In den fünfzig Jahren ihrer Herrschaft hatten die Briten wenig getan, um in Nigeria den Geist einer gemeinsamem Nationalität zu schaffen (vgl. ebd.: 42). Stattdessen bewahrte die britische Kolonialherrschaft eine instabile Ruhe, indem sie durch ihre Monopolmacht wie eine „Putzkolonne“ fungierte: Sobald ein Problem oder Konflikt auftauchte, entschieden sie über einen kolonialen Erlass direkt, wie das Problem zu lösen war (vgl. ebd.: 45). Letztlich verschärfte die Kolonialherrschaft regionale und ethnische Spannungen allerdings. In den verschiedenen Regionen setzten die Briten unterschiedliche Intensitäten der indirekten Herrschaft ein, was dazu beitrug, dass die Kluft zwischen der muslimischen Kultur im Norden und der seit kurzem christlichen Gesellschaft im Süden sich festigen (vgl. Richards 2019: 45).

Die Verstärkung regionaler Unterschiede erfolgte außerdem durch die Arbeit britischer Missionare, die in Nigeria versuchten, britische Bildung zu verbreiten. Im Süden des Landes unternahmen sie hierbei besonders hohe Anstrengungen, ihre „zivilisatorischen“ Maßnahmen voranzutreiben. Grund waren die starken Unterschiede zwischen den Herrschaftsstrukturen und Traditionen der Briten und der Igbo. Mithilfe der Verbreitung von westlichen Idealen sollten die direktdemokratischen Igbo empfänglicher für britische Traditionen gemacht werden, sodass sie sich der Fremdherrschaft eher beugen würden. Da im Norden, anders als im Süden, bereits vor der Kolonisierung traditionelle Hierarchien bestanden, bemühten sich die Briten stärker um die Umgestaltung von Südnigeria als von Nordnigeria (vgl. Richardson 2019: 36 f.). Trotz teilweise gewalttätigem Widerstand der Südostnigerianer gegen das Aufzwingen von britischen Werten, führten die Maßnahmen der Briten in der Region letztlich dazu, dass der Südosten einen intellektuellen und wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber Nordnigeria entwickelte (vgl. Richardson 2019: 38).

Zunehmend wurde englische und westliche Bildung in Igboland als notwendig für politische Führung angesehen. Für den Umgang mit den Briten und deren Gesetzen galt sie als unentbehrlich. Jedoch erhielten Frauen weniger Zugang zu dem neuen Wissen, da Söhne häufiger zur Schule geschickt wurden, als Töchter. Diejenigen Mädchen, die dennoch zur Schule gingen, erhielten in der Regel eine andere Art von Bildung. So wurden Mädchen in den britischen Missionsschulen und Ausbildungsheimen in typisch-europäischen häuslichen Fertigkeiten geschult und über die Bibel unterrichtet. Das erklärte Ziel der Missionare bei der Ausbildung von Mädchen bestand darin, sie zu christlichen Ehefrauen und Müttern zu erziehen – nicht zu Arbeitskräften oder mündigen Staatsbürgerinnen (vgl. van Allen 1972: 179). Während in den traditionellen Igbo-Gemeinden das notwendige Wissen zur Teilnahme an politischen Prozessen noch für alle Gemeindemitglieder zugänglich gewesen war, erhielten Igbo-Männer durch den Kolonialismus neues, weitgehend exklusives Wissen (vgl. ebd.: 167). Frauen hingegen verloren weiter an Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme.

Als in den 1950er Jahren Nigerias Unabhängigkeit näher rückte, erarbeiteten die Briten, wie sie den Gehorsam des jungen Staates auch in Zukunft aufrechterhalten konnten. In der Hoffnung, die neuen Machthaber weiterhin beeinflussen zu können veranlassten sie, dass mit der Unabhängigkeit die Macht an jenes Element des Landes ging, welches den geringsten Widerstand gegen die Kolonialherrschaft geleistet hatte (vgl. Richardson 2019: 42): So kam es, dass die Briten in den 1950ern dem Norden die Verantwortung für 79 Prozent des nigerianischen Territoriums sowie für 55 Prozent der Bevölkerung übertrugen (vgl. ebd.: 48). Die britische Absicht, Nigeria auch nach seiner formellen Unabhängigkeit zu steuern und zu eigenen Gunsten zu beeinflussen, kann als eindeutig neokoloniales Unterfangen betrachtet werden. Die südöstliche Bevölkerung stand der nördlichen Vorherrschaft skeptisch gegenüber und fürchtete eine politische Unterdrückung durch Nordnigeria (vgl. Richardson 2019: 38). Um seine Dominanz einzudämmen, forderte die südliche Region die Briten daher auf, den Norden in kleinere Bezirke aufzuteilen. Zu ihrer Enttäuschung beschloss die koloniale Administration allerdings, den Norden als eine Einheit zu belassen – und somit seine Vorherrschaft zu sichern (vgl. Richardson 2019: 38).

Mit Nigerias vollendeter Unabhängigkeit im Jahr 1960, verschwand schließlich das oben erwähnte Schlichtungsorgan der britischen „Putzkolonne“. Die nigerianische Bevölkerung der verschiedenen Regionen musste nun untereinander Kompromisse für Problemlösungen finden – eine Aufgabe, auf die sie während der Kolonialzeit denkbar schlecht vorbereitet worden waren. Indirekte Herrschaft trug dementsprechend maßgeblich dazu bei, dass politische Akteure in Nigeria nicht in der Lage waren, gemeinsam zufriedenstellende Entscheidungen zu treffen (vgl. Richardson 2019: 45). Grundlage der neokolonialen Theorie ist die Annahme, dass ehemalige Kolonialstaaten nur formell – jedoch nicht tatsächlich – unabhängig sind und noch heute von ausländischen Mächten gelenkt werden. Trotz scheinbarer politischer Souveränität werden demzufolge die Wirtschaftssysteme und die politischen Optionen der unterworfenen Staaten über verschiedene Mechanismen von außen gesteuert, mit dem Ziel, die weitere Ausbeutung der früheren Kolonien zu ermöglichen (vgl. Nkrumah 1965: 155).

2.3 Von der Unabhängigkeit zum Bürgerkrieg

Am ersten Oktober 1960 erlangte Nigeria seine offizielle Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht. Abubakar Tafawa Balewa, der bereits seit 1957 als Premierminister fungierte, wurde dabei zum ersten Staatschefs des unabhängigen Nigerias. Die südöstliche Region fühlte sich währenddessen weiterhin durch die Übermacht des von den Briten bevorzugten Nordens bedroht (vgl. Richardson 2019: 47). Als es 1962 zu einer Volkszählung Nigerias kam, sah der Süden eine Chance, seinen politischen Einfluss im Land aufzubessern. Denn die Bevölkerungsanzahl einer Region bestimmte direkt über deren Einfluss im nigerianischen Parlament (vgl. ebd.: 48). In der Hoffnung, die Dominanz des Nordens zu reduzieren, blähte der Süden seine Bevölkerungsanzahl in der Volkszählung daher drastisch auf. Innerhalb von nur einem Jahrzehnt verzeichnete die südliche Region einen Bevölkerungszuwachs von mindestens 70 Prozent. In einigen Gebieten wurde sogar ein Zuwachs von 200 Prozent angegeben (vgl. ebd.: 48).

Jedoch ließ sich der Norden von diesen gefälschten Zahlen nicht beeindrucken. während einer zweiten Volkszählung im Folgejahr reagierte er, indem er seine Bevölkerungszahlen ebenfalls um 70 Prozent übertrieb (vgl. Richardson 2019: 48). Um die Vorherrschaft des Nordens endgültig zu beenden, stürzte eine Gruppe von Igbo-Militärs im Januar 1966 die vom Norden dominierte Regierung und beendete somit die erste Republik Nigerias. Hierbei wurden zwei der wichtigsten Führer des Nordens getötet, genauso wie vier ranghohe Soldaten aus dem Norden, ein Politiker aus dem Westen sowie zwei ranghohe Soldaten aus dem Westen. Richardson macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass die Igbo-Offiziere – anders als teils behauptet wird – nicht von einem blutrünstigem Streben nach Macht motiviert waren. Vielmehr reagierten sie gegen eine Regierung, die entschlossen war, die Macht außerhalb des Einflusses der Igbo zu zentralisieren – ähnlich wie es in der Kolonialzeit der Fall gewesen war (vgl. ebd.: 45).

Nach dem Staatsstreich richteten die Putschisten eine Militärverwaltung unter dem Igbo-Generalmajor Johnson Aguiyi-Ironsi ein (vgl. Falola et al. 2024). Am 24. Mai 1966 löste die neue Igbo-geführte Regierung die Föderation zugunsten eines vereinigten Nigerias auf und kündigte an, dass die regionalen öffentlichen Dienste des Landes vereinheitlicht werden sollten. Der Norden betrachtete dies als ein bedrohliches Szenario, da seine Bevölkerung folglich mit den generell höher gebildeten Igbo um Arbeitsplätze konkurrieren müsste (vgl. Richardson 2019: 46). In der Folge brach in Nordnigeria heftige Gewalt gegen Bewohner aus, die ursprünglich aus dem Südosten des Landes stammten. Viele Nordnigerianer verfolgten dabei das Ziel, Südostnigerianer vollständig aus dem Norden zu vertreiben. Richardson verweist an dieser Stelle erneut auf den Zusammenhang mit der Indirekten Herrschaft der Briten: „This violence was not only ethnic; the legacy of Indirect Rule and its influence through education and regionalism had a heavy hand in the setup of this conflict“ (ebd.).

Die Igbo-geführte Regierung war indes von kurzer Dauer. Bereits im Juli 1966 inszenierten Offiziere aus dem Norden einen Gegenputsch, wobei Aguiyi-Ironsi ermordet wurde. Kurz darauf übernahm der damalige Oberstleutnant Yakubu Gowon das Amt des neuen Präsidenten. Die Krise wurde durch Zusammenstöße zwischen den Gemeinden im Norden verschärft, während Südnigeria damit drohte, sich abzuspalten (vgl. Falola et al. 2014). Gowons Versuch, im Oktober 1966 eine Konferenz mit Repräsentanten aller Regionen abzuhalten, um die verfassungsmäßige Zukunft Nigerias zu regeln, wurde nach einer Reihe von ethnischen Massakern gegen Igbo in vielen Regionen Nigerias abgebrochen. Im Januar 1967 wurde ein letzter Versuch unternommen, das Land zu einen: Eine Delegation aus dem Südosten, unter der Leitung von Oberstleutnant Odumegwu Ojukwu stimmte zu, sich mit den anderen Vertretern auf neutralem Boden in Ghana zu treffen. Zwar konnten beide Parteien zunächst Einigungen erzielen, doch die Situation verschlechterte sich bald, als es zu Differenzen über die Auslegung des Abkommens kam. Im Mai verkündete die vom Norden dominierte Militärregierung ein Dekret, das die vier Regionen Nigerias in zwölf Staaten aufteilte. Davon sollten sechs im Norden und drei im Osten liegen, um die Macht der Regionen zu brechen. Eine solche Neuaufteilung bedeutete drastische Folgen für das Volk der Igbo, da dadurch die wichtigsten Gebiete für Ölproduktion aus dem Kernland der Ibo herausgelöst werden würden (vgl. Uche 2008: 123). Als Reaktion erklärte Ojukwu am 30. Mai 1967 die Abspaltung der drei Staaten der Ostregion unter dem Namen Republik Biafra. Die nigerianische Bundesregierung wertete dies als Rebellion und Anfang Juli brachen die Kämpfe aus. Innerhalb weniger Wochen eskalierte der Konflikt zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg (vgl. Falola et al. 2024). Im Juni 1963 wurde die Region „Mittelwesten“ gegründet, nachdem die Bewohner des Territoriums für die Abspaltung von der westlichen Region gestimmt hatten. Damit bestand Nigeria fortan aus vier Regionen (vgl. Britannica o. J.).

3. Der Biafra-Krieg

3.1 Kriegsverlauf

Zu Beginn des Krieges schienen die biafranischen Truppen auf dem Vormarsch zu sein. Im August 1967 überquerten sie den Niger, nahmen Benin City ein und befanden sich auf dem Weg nach Lagos. Letztlich war Biafra allerdings relativ schnell überwältigt. In Ore, einer westnigerianischen Kleinstadt im heutigen Bundesstaat Ondo, wurden die biafranischen Truppen am 21. August schließlich gestoppt. Kurz darauf marschierten Bundestruppen in Enugu, der provisorischen Hauptstadt Biafras, ein und drangen in das Kernland der Igbo vor. Die folgenden zwei Jahre waren geprägt von heftigem Widerstand in der schrumpfenden biafranischen Enklave und von hohen Opferzahlen innerhalb beider Armeen sowie in der biafranischen Zivilbevölkerung (vgl. Falola et al. 2024).

Trotz seiner militärischen Rückschläge, wurde Biafra von Gabun, Tansania, Sambia und Côte d’Ivoire als souveräner Staat anerkannt. Friedensstiftende Bemühungen der Organisation für Afrikanische Einheit (heute Afrikanische Union) und anderen Akteuren blieben währenddessen erfolglos. Ausländische Mächte betrachteten den Krieg hingegen als Chance, ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent aufzubessern. So lieferte Frankreich Waffen an Biafra, während sowohl Großbritannien, als auch die Sowjetunion die Truppen der nigerianischen Bundesregierung ausrüsteten. Auch erhielt Biafra Hilfe von internationalen Organisationen für seine Bevölkerung, die unter einer verheerenden Hungersnot litt. Verstärkt wurde diese, da das nigerianische Militär Hunger gezielt als Kriegsmittel einsetzte. Die Truppen der Bundesregierung besetzten strategisch Gebiete, die für die Landwirtschaft der Igbo wichtig waren, und plante im Wesentlichen, Biafra bis zur Unterwerfung auszuhungern.

Der endgültige Zusammenbruch Biafras begann am 24. Dezember 1969, als die Bundestruppen eine Großoffensive starteten. Den biafranischen Truppen fehlte es an Munition, die Bevölkerung litt an Hunger und die Anführer kontrollierten inzwischen nur noch ein Sechstel des Territoriums, das 1967 die biafranische Republik gebildet hatte. Am 11. Januar 1970 floh Ojukwu nach Côte d’Ivoire, und eine biafranische Delegation kapitulierte vier Tage später offiziell in Lagos. Damit war das Ende der Republik Biafra besiegelt. Schätzungen über die Zahl der Todesopfer des Krieges, gehen stark auseinander (vgl. Falola et al. 2024). Laut dem Inventory of Conflict and Environment (ICE) forderte der Biafra-Krieg etwa 100.000 militärische Opfer, während 500.000 bis zwei Millionen biafranische Zivilisten an Hunger starben (vgl. ICE 1997).

Nach dem Kriegsende gelang es Gowon mithilfe seiner persönlichen Anziehungskraft schließlich, beide Seiten zu versöhnen, sodass die ehemaligen Biafra-Staaten wieder in Nigeria integriert werden konnten, ohne für den Krieg verantwortlich gemacht zu werden. Dennoch wurde er im Juli 1975 gestürzt und flüchtete nach Großbritannien. Nigerias neuer Staatschef, Brigadegeneral Murtala Ramat Mohammed, leitete während seiner kurzen Amtszeit (1975 – 1976) zahlreiche Veränderungen ein: Er begann mit der Verlegung der Bundeshauptstadt nach Abuja, ging gegen das Problem der ineffizienten Regierung vor und leitete die Rückkehr zur zivilen Kontrolle ein. Im Februar 1976 wurde er bei einem erfolglosen Putschversuch ermordet, woraufhin sein engster Vertrauter, Generalleutnant Olusegun Obasanjo, zum Regierungschef wurde. Dieser kandidierte 1979 nicht für die Präsidentschaft, und Nigeria ging zur Zivilregierung über. Die Ära der militärischen Kontrolle während und um den Biafra Krieg war damit beendet (vgl. Falola et al. 2024).

3.2 Frauen im Kampf für Biafra

In der vorhandenen Literatur zur Rolle von Frauen im Biafra-Krieg wird häufig die Schlussfolgerung gezogen, dass biafranische Frauen selbst nicht gegen Nigeria zu den Waffen griffen. Stattdessen wird ihnen eine vornehmlich unterstützende Rolle zugeschrieben. Der Historiker Taiwo Bello hält es hingegen für äußerst unwahrscheinlich, dass biafranische Frauen grundsätzlich nicht an den Kämpfen teilnahmen. So weist Bello darauf hin, dass es bei den Igbo bereits vor der Kolonialzeit die Tradition gab, dass Frauen militärische Aufgaben übernahmen und teils an physischer Kriegsführung beteiligt waren (vgl. Bello 2023: 7).

Bellos eigene Forschungen untermauern seine Annahme. So berichten einige Zeitzeugen des Biafra-Krieges die Beteiligung biafranischer Frauen an den Kämpfen. Korporal Adeyeye, der auf Seiten Nigerias kämpfte, bezeugt etwa die Furchtlosigkeit und das Engagement von Frauen, Biafra zu dienen:

Some of their officers were women. Women wore military uniforms and carried guns. […] Women fought against us, especially the brave ones. Some of them served in the intelligence area. But whoever was on the war front, fighting, would have seen women among the armed Biafran soldiers“ (Adeye, zitiert nach Bello 2023: 7).

Insbesondere gegen Kriegsende, als zahlreiche Männer bereits gefallen waren, nahmen viele biafranische Frauen direkt an den Kämpfen teil. So berichtet ein weiterer Zeitzeuge:

At a time when men were very scarce, women had to fill in. There were some women who were very agile and they gave themselves up for fighting. […] I saw women carrying arms during the war and that was towards 1969. […] That time there was scarcity of men. […] It was only women, women, women you would see everywhere.. […] So, anyone who told you that women did not follow [fight] is not telling the truth“ (Bello 2023: 8).

Bei den obigen Zitaten handelt es sich um lediglich zwei von vielen, die den militärischen Einsatz von biafranischen Frauen bestätigen. Dennoch bestreiten einige Historiker, wie auch Zeitzeugen die Teilnahme von biafranischen Frauen an den Kämpfen. Diesen Widerspruch erklärt Bello durch die schiere Größe des Kriegsgebietes.

Biafra as a country was very big, covering approximately 30,000 square miles […]. Therefore, there might be women recruited and trained in weapon handling in some areas, whereas in others such actions might be ‘forbidden’, perhaps because there were enough young and able- bodied men“ (ebd.: 10).

Wesentlich häufiger, als innerhalb der regulären biafranischen Streitkräfte, kämpften Frauen allerdings in Milizen, Zivilschutzorganisationen und paramilitärischen Gruppen für Biafras Unabhängigkeit (vgl. ebd.: 6). So reisten viele Frauen regelmäßig über die Biafran Organization of Freedom Fighters (BOFF) an die Kriegsfront, um die biafranische Armee zu unterstützen. Die BOFF war der Guerillaflügel der biafranischen Armee, wobei Frauen einige ihrer wichtigsten Mitglieder darstellten (vgl. ebd.: 10).

Obwohl biafranische Frauen also der Armee und den Milizen beitraten, um die biafranische Bewegung zu unterstützen steht fest, dass Frauen weder in großem Umfang Aufgaben an der Front wahrnahmen, noch Zugang zu den höchsten Ebenen der militärischen Offiziere hatten. Doch auch biafranische Frauen, die nicht an den physischen Kämpfen teilnahmen, zeigten ein hohes Maß an Aktivität und Sichtbarkeit (vgl. Richardson 2019: 40 f.). So erledigten Frauen eine Reihe verschiedener Aufgaben im Bereich von Wissenschaft und Technik, Lebensmittelversorgung, soziale Mobilisierung sowie andere traditionelle Aufgaben, um die biafranischen Soldaten im Kampf zu unterstützen.

Nach Bello war der wichtigste Bereich, in dem biafranische Frauen mitwirkten, die als Forschung und Produktion (Research and Production„RAP“) bekannte Abteilung für Ingenieurswesen und Technologie. RAP war für die Herstellung von Bomben und anderen Waffen zuständig, die von biafranischen Soldaten gegen Nigeria eingesetzt wurden. Wiederholt setzten biafranische Soldaten Waffen ein, an deren Produktion Frauen beteiligt waren und konnten dadurch einige Siege gegen Nigeria verbuchen. Einer dieser Erfolge war der historische Hinterhalt von Abagana im Jahr 1968, bei dem biafranische Truppen die zweite nigerianische Division auslöschte. Laut der Wissenschaftlerin Chinua Achebe, hatte Nigeria hierbei etwa fünfhundert Opfer zu beklagen, während „die biafranische Seite nur minimale Verluste verzeichnete (vgl. Bello 2023: 4). Auch wenn biafranische Männer im Bereich der Forschung und Produktion in der Überzahl waren, müssen nach Bello die technologischen Initiativen und Beiträge der Frauen gewürdigt werden. Dabei ist festzuhalten, dass es für afrikanische Frauen in den 1960er Jahren eine Seltenheit war, sich dem Ingenieurwesen und der Technologie zu widmen. Dementsprechend ist es besonders beeindruckend, dass in Biafra auch einige Frauen in diesen Abteilungen arbeiteten (vgl. ebd.: 5).

Neben der Produktion von Waffen übten viele biafranische Frauen verwandte Tätigkeiten, wie etwa die Verwaltung der Kommunikationssysteme, aus. Darüber hinaus schlossen sich einige Frauen den sogenannten biafranischen Rangern an, wo sie als Spioninnen und Informantinnen für heimische Soldaten tätig waren. Diese Dienste trugen immens zur Stärkung der militärischen Kapazitäten Biafras bei (vgl. ebd.).

Nach Bello darf außerdem das diplomatische Engagement biafranischer Frauen während des Krieges nicht übersehen werden. Während des gesamten Konflikts erwiesen die Frauen Biafras sich als fähige Diplomatinnen und Botschafterinnen. Bereits seit der Kolonialzeit stellten Frauen einen Teil der gebildeten Igbo-Intellektuellen dar. Als aktive Mitglieder des diplomatischen Teams, entwickelten sie politische Richtlinien und bauten Allianzen zwischen Biafra und anderen Ländern auf. Auch waren Frauen in jenen Teams, die sich um die Überprüfung und Umsetzung von Biafras diplomatischen Programmen kümmerten – etwa Kampagnen, Konferenzen, Workshops und Symposien – die während des Konflikts sowohl in afrikanischen Ländern, als auch in Nordamerika, dem Nahen Osten und Europa stattfanden. Frauen übernahmen dementsprechend wichtige Rollen bei der Gestaltung von Biafras Außenpolitik (vgl. ebd.: 5).

Ebenfalls eine extrem wichtige Funktion im Biafra-Krieg war die Versorgung der biafranischen Soldaten mit Lebensmitteln – eine Rolle, die maßgeblich von Frauen getragen wurde (vgl. Bello 2019: 10). Da besonders fruchtbare Ländereien häufig von nigerianischen Soldaten besetzt wurden, arbeiteten Frauen hart daran, jedes Stückchen Land zu kultivieren, das sie finden konnten (vgl. ebd.: 11). Als Bäuerinnen bildeten Frauen hierbei nicht nur die wichtigsten Nahrungsmittelproduzenten, sondern sorgten auch dafür, dass die Lebensmittel die Soldaten an der Front erreichten. Bei diesen Nahrungslieferungen setzten die Frauen ihr Leben aufs Spiel, da sie – teils meilenweit – gefährliche Strecken passieren mussten, die von Bomben, Luftangriffen und Schießereien heimgesucht wurden (vgl. ebd.: 12). Wie in Kapitel 3.1 erwähnt, war gravierender Hunger einer der Hauptgründe für Biafras schlussendliche Niederlage. Laut Zeitzeugen, hätten die Bemühungen der Frauen um die Nahrungsproduktion den vorherrschenden Hunger in Biafra drastisch zu reduzieren können, wenn die Kämpfe sich nicht teilweise auf das kultivierte Ackerland ausgeweitet hätten (vgl. ebd.: 11). Igbo-Frauen reagierten auf mutige Weise auf die nigerianische Besetzung von fruchtbarem Land: Getarnt als Marktfrauen, gingen sie in das feindliche Gebiet, um wertvolle Gegenstände zu sichern und Nutzpflanzen zu ernten. Im Geiste des Widerstands leisteten biafranische Frauen demnach einen unerlässliche Beitrag zur Erhaltung der Republik, wobei sie traditionell-weibliche Rollen als Versorgerinnen beibehielten (vgl. Richardson 2019: 54 f.).

Weibliche Soldatinnen, die sich vom physischen Kampf zurückzogen, wurden im Anschluss häufig für den Sanitätsdienst eingesetzt und erhielten eine Ausbildung für die Behandlung verwundeter Soldaten (vgl. Bello 2019: 8 f.) Grundsätzlich dominierten Frauen während des Biafra-Krieges den Bereich der Kranken- und Kinderpflege. Vor allem für die Stabilisierung von Kindern, die durch Hunger und Krankheiten in der in Mitleidenschaft gezogen worden waren, waren biafranische Frauen unerlässlich (vgl. Bello 2023: 6). Hierbei dienten sie Biafra nicht nur intern, sondern auch extern: Tausende biafranische Kinder wurden während des Krieges nach Gabun und Côte d’Ivoire gebracht, um sie vor den Kämpfen zu schützen. Viele biafranische Frauen reisten daher ins Ausland, um bei der Versorgung der dortigen Kinder zu helfen (vgl. ebd.). Der ehemalige biafranischer Diplomat, Godwin Onyegbula, fasst den Beitrag biafranisher Frauen zu den Kriegsanstrengungen eloquent zusammen:

The women were the pillars of the Biafran society. They held the families together. They were on the countryside, while the men were on the war front. They kept the family going in spite of the war; fed the children. Without the women the foundation of the Biafran society would have been devastated” (vgl. ebd.: 11).

4. Zusammenführung

Dieser Artikel sollte ein besonderes Augenmerk auf den den Beitrag von Frauen im Kampf für Biafra legen und außerdem aufzeigen, dass es sich bei dem Konflikt nicht „nur“ um einen Bürgerkrieg handelte – sondern um den Widerstand gegen neokoloniale Kontrolle. Um dies zu erläutern, bin ich zunächst darauf eingegangen, inwiefern der britische Kolonialismus direkt zum Ausbruch des Krieges beigetragen hat. So unternahmen die Briten während ihrer 50-jährigen Kolonialherrschaft in Nigeria wenig, um zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen Nigerias einen gemeinsame nationale Identität zu schaffen. Stattdessen unterteilten sie das nigerianische Gebiet in drei ethnisch relativ einheitliche Regionen, in der Hoffnung, Konflikte zu reduzieren. Letztendlich erzeugten bzw. verstärkten die Kolonialisten ethnische Spannungen allerdings, da sie die verschiedenen Regionen unterschiedlich behandelten und so die Unterschiede zwischen diesen verfestigten. So nutzten die Briten nach der Strategie der „Indirekten Herrschaft“ vorhandene Hierarchien in Nordnigeria aus, indem sie die dortigen Emire stützen, um die Region effizient kontrollieren zu können. Im Süden hingegen setzten die Briten verstärkt auf westliche Bildung und Missionierung, um die wehrhafte Bevölkerung an britische Normen und Traditionen zu gewöhnen. Südostnigerianische Frauen verloren in diesem Prozess traditionelle Freiheiten und Mitspracherechte, von denen sie vor der Kolonialzeit profitiert hatten.

Als Nigerias Unabhängigkeit näher rückte, stellten die Briten sicher, dass der Großteil der Macht im neuen Nationalstaat an den Norden des Landes gehen würde. Großbritannien hoffte, auf diese Weise auch nach dem Ende seiner Kolonialherrschaft, Kontrolle über Nigeria ausüben zu können, indem sie die nördlichen Eliten weiterhin stützen und beeinflussen. Der Süden fühlte sich in der Folge vom dominanten Norden bedroht und nach einigen politischen Turbulenzen stürzte eine Igbo-geführte Gruppe 1966 die nigerianische Regierung. Doch bereits im Juli 1966 inszenierten Offiziere aus dem Norden einen Gegenputsch. Bald darauf erklärte der Igbo-Leutnant Ojukwu die Abspaltung der Republik Biafra. Die nigerianische Bundesregierung nahm dies nicht hin und Anfang Juli brachen die Kämpfe aus. Im Januar 1970 endete der Krieg mit Biafras Niederlage und mit vermutlich über zwei Millionen Todesopfern.

Laut Richardson muss der Kampf für Biafra als Widerstand gegen die Indirekte Herrschaft der Briten betrachtet werden. Demzufolge war der Biafra-Krieg kein gewöhnlicher Bürgerkrieg, sondern auch ein Kampf gegen neokoloniale Kontrolle. Biafranische Frauen waren dabei bemerkenswert sichtbar und spielten unterschiedliche – aber durchwegs unentbehrliche – Rollen. Als Soldatinnen nahmen sie an den Schlachten teil und fungierten als Diplomatinnen, Spioninnen und Wissenschaftlerinnen. Ebenso unverzichtbar war ihre Unterstützung durch die Übernahme traditioneller Aufgaben: Als Bäuerinnen, Erzieherinnen und Pflegerinnen kämpften Frauen für Biafra und damit für die Rückeroberung ihrer verlorenen Selbstbestimmung. Die immense Unterstützung der Frauen für Biafra beruhte auf ihrer kollektiven Überzeugung, dass der Fall Biafras auch ihren Fall eigenen bedeutete (vgl. Bello 2023: 2). Nach Christie Achebe handelten die biafranischen Frauen aus einer Weltanschauung heraus, die auf persönlicher Neuerfindung und Eigeninitiative zur Lösung von Problemen basiert (vgl. Richardson 2019: 40 f.). Im Geiste des Widerstands behielten biafranische Frauen daher ihre traditionelle Rolle als Versorgerinnen bei – ohne die die Republik Biafra von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

 

Literaturverzeichnis / Bibliography

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