von Marika Aviva Pradler
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1. Einleitung:
Wir stellten uns die Frage, wieso der von der Dozentin bereitgestellte Raum zur relativ freien Gestaltung des Seminars aus unserer Sicht nicht wirklich genutzt wurde. Wir verstanden den Ansatz unserer Dozentin als Möglichkeit für freies, hierarchieloses und unkonventionelles Arbeiten, sowie Gestalten. Ich denke, dass es auch einige Andere gegeben hat, die dieses Angebot zwar wahrgenommen, aber wie wir, nicht wirklich wussten, wie sie damit umgehen bzw. es nutzen sollten. Wir stellten infolgedessen verschiedene Überlegungen an, wie wir diesen Raum für die Gestaltung einer Unterrichtsstunde nutzen könnten, scheiterten jedoch an einer konkreten Idee, mit der wir alle zufrieden waren. Wir wollten die Frage nach der Möglichkeit zu sprechen, wie sie Spivak stellt, auf unseren universitären Kontext herunterbrechen und uns dazu eine kreative Umsetzung überlegen, waren uns aber im Nachgang nicht sicher, ob wir damit den eigentlichen Kontext ihrer Überlegungen in den Hintergrund rücken lassen und ihm nicht die angemessene Wichtigkeit im spezifischen Kontext nehmen.
So gingen unsere Überlegungen weiter und wir kamen schließlich auf die Idee, dass vielleicht nicht alle Menschen im Seminar eine ähnliche Wahrnehmung wie wir haben und wir mit einer strikten Unterrichtsgestaltung vielleicht von Annahmen ausgehen, die gar nicht zutreffen. So setzten wir uns zusammen und gestalteten Fragen für einen Selbstreflexionsbogen, der uns die Möglichkeit geben sollte, einzuschätzen, wie die anderen Seminarteilnehmer*innen ihre Rolle im Seminarkontext wahrnehmen, aber auch, wie sie die ungewöhnliche Methodik hinter diesem beurteilen. Beim Erstellen des Fragebogens gingen wir davon aus, dass wir die Rückmeldungen im Anschluss auswerten und dann zu einer Art Fazit kommen würden. Als wir uns aber die individuellen Reaktionen auf die Fragen durchlasen, bemerkten wir, dass es verfälschend und auch nicht unserem Anspruch auf Authentizität entsprochen hätte, hätten wir die Aussagen verallgemeinert und somit auf den ganzen Kurs übertragen. Wir haben die Antworten vielmehr als Überlegungsanstöße zur Reflexion unserer eigenen Rolle im Seminar genommen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es wenig Sinn ergibt, einen Text über die Wahrnehmung der Anderen zu schreiben. Stattdessen trafen wir die Entscheidung, einen Text über unsere ganz persönliche Rolle, Wahrnehmung, Position oder wie auch immer mensch es umschreiben mag, zu verfassen. Eine Selbstreflexion zum Seminar, die sich sowohl mit dem inhaltlichen Teil und was dieser an uns verändert hat, als auch mit der methodischen Herangehensweise und wie diese unsere Art über die Universität und Lehre nachzudenken, verändert hat. Im Folgenden werde ich einigen methodischen Fragen zur Erstellung unseres Fragebogens nachgehen, als auch meine eigenen Antworten auf die von uns gestellten Fragen formulieren, sowie versuchen zu reflektieren, wieso ich mich im Seminar so verhalten habe, wie ich es getan habe und welchen Einfluss das Seminar im Ganzen auf meine Art zu Denken, aber auch zu Handeln hatte.
2. Wie sind wir auf die Erstellung des Fragebogens gekommen?
Die freie Aufgabenstellung zur Erfüllung der ‚Teilnahmebedingungen‘ seitens der Dozentin ließ viel Raum für Kreativität. Wir haben uns gefragt, wieso andere Gruppen bzw. Personen diesen nicht nutzten und die meisten, trotz der Freiheiten, doch nur inhaltliche Referate zu mit dem Seminarkontext verwandten Themen hielten. Nicht nur in Bezug auf die Präsentationen, sondern auch in Bezug auf die allgemeine Seminargestaltung haben wir uns gefragt, wieso die Studierenden (uns eingeschlossen), den gegebenen Raum nicht wirklich nutzten und immer auf ‚Anweisungen‘ der Dozentin warteten, obwohl diese sich betont im Hintergrund zu halten versuchte.
Im Anschluss an die Seminarsitzung, in der wir uns mit Spivaks Text „Can the subaltern speak?“ befasst haben, übertrugen wir ihre Gedanken, auch zum besseren Verständnis ihrer Überlegungen, auf unser Seminar. Wir stellten uns die Frage, wer eigentlich sprechen kann und wer gehört wird. Uns fiel bei diesen Überlegungen direkt auf, dass nur ein kleiner Teil der am Seminar teilnehmenden Menschen spricht und so machten wir uns Gedanken darüber, was die Ursachen dafür sein könnten. Durch das Sitzen im Kreis gemeinsam mit der Dozentin, das Moderieren nicht durch diese, sondern jede Woche durch einen anderen Seminarteilnehmenden und einer Diskussion ohne das Abfragen von konkretem Wissen sollte, so unsere Wahrnehmung, eigentlich ein hierarchieloser Raum geschaffen werden, der es jeder und jedem ermöglicht, ohne ‚Furcht‘ zu sprechen. Unsere erste Überlegung im Anschluss daran war also eine Seminarstunde zu gestalten, in der wir mehr Menschen dazu bringen wollten, sich zu beteiligen bzw. bei der auf symbolischer Weise jede der Stimmen im Seminar mindestens einmal zu hören sein sollte. Ein erster Schritt zu dieser Unterrichtsgestaltung sollte ein Evaluationsbogen sein, der uns die Möglichkeit bieten sollte, einen Einblick in die Wahrnehmung der anderen Seminar- teilnehmer*innen zu bekommen. Im weiteren Verlauf unserer Arbeit, auch schon während des Gestaltens des Fragebogens, stellten wir fest, dass es auch schon sehr gewinnbringend für die Teilnehmer*innen sein könnte, durch Beantworten des Fragebogens einfach nur ihre eigene Rolle im Seminar wahrzunehmen und gege- benenfalls zu hinterfragen. Wir nahmen von dem Plan Abstand, eine verallgemeinernde Auswertung der Fragebögen anzustreben, da wir zu dem Schluss kamen, dass es sich hierbei um ganz individuelle Erfahrungen und Wahrnehmungen handelt, deren nutzen in der eigenen Reflexion liegt und nicht darin zu erfahren, wie die Situation der anderen Personen ist. Unser Ansatz sollte dazu führen, deutlich zu machen, dass mensch die Welt nur verändern kann, wenn man sich selbst ändert. Eine bessere Welt zu wollen kann nur ein Traum bleiben und klingt utopisch, wenn mensch sich nicht bewusst macht, dass jeder Mensch bei seinem ganz persönlichen Leben und Verhalten ansetzen kann. Veränderung bedeutet Aufbruch von Kontinuitäten und so auch den von (post)kolonialen Kontinuitäten.
3. Wie haben wir die Fragen erstellt?
Bei der Erstellung der Fragen setzten wir uns selbst den Anspruch, die Fragen möglichst frei von unserem eigenen Eindruck des Seminars zu stellen und formulierten sie aus diesem Grund relativ offen. Auch bei der Beantwortung der Fragen wollten wir den Teilnehmer*innen viel Freiraum lassen und haben uns deswegen gegen Skalen bzw. Fragen zum Ankreuzen entschieden. Neben der stichwortartigen Beantwortung der Fragen nach einander, stellten wir den Antwortenden auch zur Wahl einen Fließtext zur eigenen Wahrnehmung des Seminars zu verfassen. Inhaltlich hat uns die Wahrnehmung des Seminars im Allgemeinen interessiert, aber auch wie die Menschen ihre eigene Situation innerhalb der Seminargruppe empfunden bzw. wahrgenommen haben. Wir hatten nicht zum Ziel eine Bewertung des Seminars einzuholen, sondern unser Erkenntnisinteresse lag eher darin, herauszufinden, wieso sich trotz der hierarchielosen Seminargestaltung in unseren Augen so wenige Menschen beteiligt haben und wieso der Raum für freie Gestaltung nicht ausgeschöpft wurde. Außerdem wollten wir für uns selbst herausfinden, ob unser persönlicher Eindruck mit dem der anderen ähnelte, oder eher nicht.
Wir selbst waren von uns gewissermaßen ‚enttäuscht‘, weil auch wir den Raum für Gestaltung nicht entsprechend ausgeschöpft haben und haben uns daraufhin die Frage gestellt, wie es in einem kommenden Seminar möglich wäre, diesen besser zu nutzen bzw. wie mensch im Hinblick darauf die Seminarteilnehmer*innen zu mehr Beteiligung am Seminar motivieren könnte, ohne in eine Art Zwang zu geraten.
4. Wie haben wir den Fragebogen ausgewertet?
Nachdem wir die ausgefüllten Fragebögen eingesammelt und gesichtet hatten, haben wir uns dagegen entschieden diese nach einem strikten Auswertungsprinzip auszuwerten, denn wir wollten wie schon bei der Formulierung der Fragen, möglichst unvoreingenommen herangehen. Auch einen Plan, was mit den Antworten der Teilnehmer*innen im Anschluss überhaupt passieren sollte, hatten wir noch nicht.
Zuerst kam uns die Idee die Ergebnisse der Reflexion mit der Gestaltung einer Unterrichtsstunde eines anderen Seminarteilnehmers zu verbinden, um hierbei an einem praktischen Beispiel zu beobachten, ob es möglich ist, den gegebenen Raum mehr zu erfüllen. Da wir aber nicht allzu viele Bögen zurückerhalten hatten und es als anmaßend empfanden, aus diesen wenigen Bögen verallgemeinernde Aussagen zu treffen, entschieden wir uns bei der Methode der Reflexion zu bleiben und unseren eigenen Arbeitsprozess, die gegebenen Antworten auf die Fragen sowie unseren eigenen Eindruck des Seminars und unsere Rolle in diesem zu reflektieren und dabei auch selbst die von uns im Fragebogen gestellten Fragen als Anhaltspunkt zu nehmen, indem wir sie selbst beantworteten.
5. Ein kurzer Überblick über die Antworten auf unseren Fragebogen
Im Allgemeinen wurde das Seminar sehr positiv bewertet. Es ist jedoch neben unserer Gruppe auch vielen anderen aufgefallen, dass sich nur eine kleine Gruppe von Menschen häufig beteiligt hat. Dies wurde aus der Sicht derjenigen, die sich wenig beteiligten geschildert, als auch aus der Sicht derjenigen, die sich aus ihrer Sicht viel beteiligten.
Die freie Gestaltung des Seminars und die angestrebte Hierarchielosigkeit wurden durchweg positiv bewertet, jedoch wurde auch von einigen Stimmen kritisch angemerkt, dass die gegebenen Räume noch mehr hätten genutzt werden können. Kritisiert wurden teils voraussetzungsvolle Texte, die die Beteiligung an der Seminardiskussion erschwerten. Hierfür, so einige Stimmen, waren die Diskussionen in kleineren Gruppen zu Beginn des Seminars, wie es am Anfang des Semesters eingeführt wurde, von Vorteil. Auch, so vermuteten manche, trauten sich hier mehr Menschen, sich zu beteiligen, da sie nicht vor der großen Gruppe sprechen mussten. Einige bezeichneten Sprache im Allgemeinen als mögliches Problem, wenn es um die Beteiligung an Diskussionen ging. Englisch war die Unterrichtssprache, aber nur von wenigen die Muttersprache und so fühlten sich eventuell manche Teilnehmer*innen nicht wohl zu sprechen, in der Angst, man könne sie nicht verstehen oder würde sich ‚über sie lustig machen‘. Die teils sehr persönlichen Erfahrungsberichte einzelner Teilnehmer*innen in Bezug auf (post)koloniale Kontinuitäten, wurden sehr positiv bewertet. Einstimmig wurde niedergeschrieben, dass die Teilnehmenden viel Wissen aus dem Seminar mitgenommen hätten, welches auch den Blick auf die Welt im Alltag verändert hat, bzw. welches mensch gerne mit anderen teilt und ihnen so auch einen neuen Blick auf bestimmte Zusammenhänge bescheren kann.
6. Wie reflektiere ich rückblickend meine eigene Situation und wie würde ich den Fragebogen beantworten?
Im Folgenden werde ich die von uns in unserem Fragebogen formulierten Fragen selbst beantworten. Zu unserer ersten Frage, ob das Seminar unsere Erwartungen erfüllt hat, kann ich sagen, dass es bei mir über diese hinausging. Um ehrlich zu sein, habe ich mehr über mich selbst gelernt, als handfestes Wissen über Postkoloniale Theorien. Das habe ich vorher nicht erwartet und so könnte man sagen, dass sich meine Erwartungen nicht erfüllt haben oder aber, dass sie über diese hinausgingen. Ich bin relativ unvorbereitet an das Seminar herangegangen und die einzige Erwartung war, mehr über Postkoloniale Theorien und ihre Theoretiker*innen zu erfahren. Ich habe mit einem ‚normalen‘ Universitätsseminar gerechnet, in dem eine klare Hierarchie zwischen Lehrenden und Studierenden besteht und dies wie eine Art Frage Antwort Spiel aufgebaut ist, zu dessen Anfang jeder Stunde eine*r der Studierenden einen kurzen Vortrag zu einem bestimmten Thema hält. Was mir jedoch begegnete, war das Gegenteil. Sara’s Ziel war es eben genau diese typische Hierarchie gar nicht erst aufzubauen und uns als Studierende möglichst viel Raum für eigene Gestaltung zu geben. Ziel war es nicht, allen einen gleichen Fundus an Wissen vorzulegen, sondern dieses Wissen gemeinsam durch die Arbeit mit den Texten zu erarbeiten. Alles in allem kann ich nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass mir Sara’s de-hierarchisierender Ansatz durchaus zugesagt hat, ich jedoch der Meinung bin, dass dieser Raum, auch, und vor allem von Seiten der Studierenden, effektiver hätte genutzt werden können. Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt, wie in den weiteren Abschnitten dieser Arbeit auch noch deutlich werden wird, hätte mir aber trotz allem erhofft, einen größeren Einblick oder auch Überblick in bzw. über die Postkolonialen Theorien zu bekommen.
Als sehr positiv habe ich die gute Atmosphäre im Seminar wahrgenommen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass mensch nicht in der Lage gewesen wäre alles zu sagen, was man gerne hätte sagen wollen. Es gab keine verurteilenden Blicke oder Ähnliches. Wenn es ein ‚Problem‘ mit einer bestimmten Aussage gab, so wurde dies stets auf einer sachlichen Art und Weise versucht zu kommunizieren und im Anschluss zu klären. Auch das Sitzen im Kreis hat mir zugesagt, da so jede*r in der Lage war jede*n zu sehen. Mensch konnte weder sich, noch die anderen vor Blicken ‚schützen‘, was vielleicht auch dazu geführt hat, dass keine*r eine*n andere*n beleidigt bzw. verbal verletzt hat. Die Diskussion in Kleingruppen zu Beginn der Sitzung hat mir ebenfalls sehr zugesagt und ich fand es schade, dass wir diese nicht beibehalten haben. Für mich war es immer eine gute Möglichkeit in die Diskussion in der großen Gruppe hineinzukommen bzw. auch zu erst einmal Unklarheiten, die den Text betrafen, zu klären. Außerdem habe ich ein Problem mit dem Sprechen vor großen Gruppen und so hatte ich immerhin in der kleinen Gruppe die Möglichkeit, mich über den Text auszutauschen. Dies war auch vor allem deswegen notwendig, weil die Texte in meinen Augen teils sehr voraussetzungsvoll waren und ich nicht immer beim Lesen einen Zugang zu ihnen gefunden habe, jedoch immer daran interessiert war, ihren Inhalt trotzdem zu verstehen. Auch wenn Sara sich in der meisten Zeit eher zurückgehalten hat, waren ihre Einwände stets hilfreich und haben die Diskussion in meinen Augen weitergebracht. Da niemand aus dem Kurs wirklich die Initiative übernommen hat, auch wenn es Moderator*innen gab, wäre es manchmal vielleicht von Vorteil gewesen, wenn Sara sich des Öfteren in die Diskussion ‚eingemischt‘ hätte bzw. erst einmal abgefragt hätte, wer den Text verstanden hat. Ich habe die Diskussionen im Kurs als stets reflektiert und umsichtig wahrgenommen und hatte das Gefühl, dass viele Teilnehmende dem schwierigen Thema auch emotional näher gekommen sind. Dies war zumindest bei mir der Fall. Auch die Freiheiten was die Seminararbeiten betrifft, weiß ich sehr zu schätzen. Ich halte es vor allem bei einem Thema wie diesem, für wichtig, dass sich jede*r auf seine ganz individuelle Weise einem Teilbereich nähern kann. Da es keinen festen Seminarplan gab, an dem mensch einen gemeinsamen Wissensstand festlegen könnte, ist es nur sinnvoll sich auch bei den Abschlussarbeiten darauf zu konzentrieren, was mensch selbst für sich als wichtig aus dem Seminar mitzunehmen erachtet. So war es bei mir der veränderte Blick auf meine eigene Position in diesem thematischen Kontext, was mich dazu bewegte die vorliegende Selbstreflexion hier zu schreiben.
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass neben meinem Unbehagen vor einer großen Gruppe zu sprechen auch die Unterrichtssprache ein Problem für mich darstellte. Nicht, dass ich mich im Englischen nicht sicher fühle, aber irgendwie ist der Druck doch größer, wenn man in einer Sprache auf wissenschaftlicher Ebene sprechen muss, die nicht die Muttersprache ist und zudem noch Menschen im Kurs sind, deren Muttersprache es ist und die ein dementsprechend besseres Englisch sprechen. Vermutlich war dieses Unbehagen vor allem in einem Kurs wie diesem völlig unbegründet, doch konnte ich mich trotzdem bis zuletzt nicht wirklich davon befreien. Auch wenn ich selbst damit dazu beigetragen habe, dass die Gruppe der sich beteiligenden Menschen eher klein war, fand ich diesen Fakt sehr schade. Ich hätte gern noch andere Perspektiven gehört und auch über eine lebhaftere Diskussion hätte ich mich das ein oder andere Mal gefreut. Manchmal wären dafür vielleicht auch explizitere Fragen zu den Texten notwendig gewesen.
Ich habe meine eigene Rolle im Seminar eher als beobachtend wahrgenommen. Des öfteren habe ich zwar darüber nachgedacht, mich aktiv an der Diskussion zu beteiligen, doch die Sprachbarriere und das Fehlen einer konkreten Fragestellung seitens der Dozentin haben mir die Sache erschwert. Außerdem waren die Texte für mich teils schwer einzuordnen bzw. zu verstehen, was auch dazu geführt hat, dass meine aktive Beteiligung nicht allzu umfangreich ausfiel. Ich war mir diesem Verhalten bewusst, da ich es eigentlich anders von mir gewöhnt bin und habe mich auch teilweise über mich selbst geärgert, weil ich eigentlich weiß, dass die Sprache kein Hindernis für mich hätte sein müssen. Passiv habe ich die Diskussionen allerdings immer aufmerksam mitverfolgt und konnte so stets trotzdem etwas mitnehmen.
Ein Problem war auch nicht die englische Sprache an sich, sondern diese in Kombination mit dem heiklen Thema des Kolonialismus. Es fiel mir schwer zu denken, dass ich das was ich sagen wollte in dem Thema angemessener Weise ausdrücken könnte und so hielt ich mich lieber zurück. In Bezug auf die Texte hätte ich mich selbst besser vorbereiten müssen, um besser an den Diskussionen teilgenommen haben zu können, sowohl passiv als auch aktiv.
7. Fazit: Wie weiter vorgehen? Was nehme ich mit?
Wie an der von Alexander Blum gestalteten Stunde zu sehen war, ist es durchaus möglich gewesen alle Teilnehmenden Personen des Seminars zu einer wie auch immer gearteten Beteiligung zu bewegen. Die von ihm überlegte Methode zwar eine Seminarsitzung im universitären Kontext zu gestalten, aber trotzdem aus den ‚normalen‘ Mustern auszubrechen, hat mich persönlich beeindruckt und vor allem auch berührt. Auch seine Unterrichtsgestaltung war ähnlich, wie unser Fragebogen, auf die Reflexion der eigenen Person bezogen. Mit dem Erzählen über einen imaginären Traum mit dem weit gefassten Thema Kolonialismus, hat er einen Anfang in die Richtung gesetzt, zu hinterfragen, in welcher Rolle wir uns selbst sehen, wenn es um (Post)Kolonialismus geht. Wie nehmen wir uns und Andere heute wahr und in welcher Position wären wir vermutlich 120 Jahre früher gewesen, wenn wir im selben Kontext geboren worden wären?
Auch der Blick in die kleine Spiegelscherbe, der den Sinn haben sollte, sich darüber Gedanken zu machen, inwiefern man sich durch das Seminar insgesamt verändert hat, bzw. wie sich der Blick auf die Welt und auf sich selbst verändert hat, hat für mich persönlich viel gebracht.
Ich habe mir Fragen danach gestellt, was ich selbst in meinem alltäglichen Leben anders oder besser machen könnte, um meine Machtposition, die ich allein schon durch mein Leben in Deutschland, meine deutsche Staatsbürgerschaft und auch das Studieren an einer renommierten Uni habe, abzubauen. Dazu musste ich mir zuerst einmal die Frage stellen, inwiefern ich von diesen noch immer vorherrschenden Asymmetrien profitiere. Ich kann jeden Tag in den Supermarkt gehen und mir quasi rund um die Uhr an allen Tagen des Jahres kaufen, was das Herz begehrt. Bei uns gibt es keine Lebensmittelknappheit, keine Kleidungsknappheit, nicht das Gefühl, mit seinen Problemen nicht wahrgenommen zu werden oder sogar unmündig zu sein. Wie viel von diesen Privilegien trage ich, weil ich auf dem Boden einer ehemaligen Kolonialmacht geboren bin? All diese Fragen kamen mir in den Kopf und beim Verfassen des ersten Satzes unserer imaginären Manifestes zur Verbesserung der Welt, wurde mir bewusst, dass Bewusstsein für mich das Wichtigste ist. Werden wir uns bewusst darüber, dass wir hier in Deutschland, als deutsche Staatsbürger*innen, aber auch Bürger*innen anderer ehemaliger Kolonialmächte, immer noch von dieser Zeit profitieren, die meines Erachtens nach genau aus diesem Grund auch noch nicht in der Vergangenheit liegt? Sorgen wir dafür, dass in den Schulen mehr gelehrt wird zum Thema Kolonialismus? (Ich kann nur für meinen Geschichtsunterricht in der Schule sprechen, aber meine Erinnerung an das Thema deutschen Kolonialismus umfasst gerade einmal eine Doppelseite in unserem Geschichtsbuch und das ist auf jeden Fall zu wenig.) Doch nicht nur die historische Aufarbeitung ist wichtig, sondern auch die aktuelle. Wo wird unsere Kleidung hergestellt? Wo kommt unser Kaffee her? Welches Wasser kaufen wir und welche Menschen werden dadurch womöglich von ihrer Wasserquelle abgeschnitten? Ich könnte noch eine ganze Reihe weiterer Fragen hier aufschreiben, aber ich denke, mein Grundgedanke sollte klar geworden sein. Ich habe mich zwar auch vor Teilnahme an diesem Seminar mit Postkolonialismus und Kolonialismus auseinandergesetzt, doch immer eher flüchtig in Seminaren oder Vorlesungen, die ein anderes Oberthema hatten.
An dieses Seminar bin ich mit der Erwartung herangegangen, einen ‚wissenschaftlichen‘ Überblick über die postkolonialen Theoretiker*innen und ihre Ideen zu bekommen, doch was ich am Ende bekam, war viel mehr als das. Durch die vielen persönlichen Schilderungen der Seminarteilnehmer*innen aus ihrem ganz eigenen Kontext heraus (z.B. aufgewachsen in einer ehemaligen Kolonie) hat das Thema für mich einen viel weiteren Kreis gezogen. Ich sehe mich selbst nicht mehr so weit abgegrenzt von der kolonialen Vergangenheit Deutschlands, sondern habe mir zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht, wie ich mich wohl in der damaligen Zeit, mit dem damaligen Einfluss der Wissenschaft, verhalten hätte. Auch habe ich hinterfragt, ob es mir zusteht so negativ über diese Zeit und die Menschen, die andere Menschen schamlos ausgebeutet haben, zu urteilen, wenn ich, wie oben beschrieben, auch heute noch von den ‚Nachwirkungen‘ bzw. von der weiteren Fortführung dieser Abhängigkeiten profitiere. Diese Fragen waren schon längere Zeit in meinem Hinterkopf, aber wirklich emotional damit auseinandergesetzt habe ich mich erst in der letzten, von Alexander gestalteten Stunde. Ich dachte immer, dass ich mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehe, aber mir wurde bewusst, dass mir niemals alles bewusst sein kann. Und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, anderen Menschen zuzuhören. Wie ich auch schon weiter oben bei der Planung unseres eigenen Projekts angesprochen habe und wie mir auch in der letzten Seminarstunde, in der wir alle aus meiner Sicht zu einer starken Gemeinschaft wurden, noch einmal deutlich wurde, können wir die Welt nicht allein verändern. Jede*r hat eine gewisse Macht, doch wirklich stark sind wir nur, wenn wir uns zusammenschließen. Wir müssen aufhören, dieses Zusammenschließen als eine Schwäche zu sehen. Viel eher sollten wir anfangen es als Stärke zu betrachten und mit dieser Stärke anstreben, Dinge zu verändern. Auch wenn es länger dauert, Dinge zum Besseren zu wenden, so werden wir doch mehr Menschen zum Nachdenken und vielleicht sogar Umdenken anregen, wenn wir überhaupt erst einmal auf die Missstände aufmerksam machen.
Quelle:
http://www.schattenwege.net/wp-content/uploads/broken-mirror.jpg (Zugriff 27.09.2017, 14:29 Uhr)